Ich stehe an der Theke im Plan B am Plac Zbawiciela in Warschaus Stadtzentrum. Es ist Mittwochabend, ich bestelle ein Bier und gehe nach hinten, in den Teil der Bar, in dem es noch erlaubt ist zu rauchen. Links am Tisch steht eine Männergruppe, die fünf unterhalten sich angeregt. Ich falle ins Gespräch und frage nach Feuer. Als ich mich bedanke und den Anzünder auf die Zigarettenschachtel lege, bittet mich einer der Männer zu bleiben. „Hier muss niemand alleine rauchen“, sagt er. Etwas irritiert ob dieser offensiven Freundlichkeit stelle ich mich dazu.

Die Themen sind die internationale Kritik an der polnischen Regierung, Homosexualität und die deutsche Flüchtlingspolitik. Es dauert keine Kippenlänge und der Damm ist gebrochen: Einmütig werden Schwule als moralisch zersetzend bezeichnet und dass Angela Merkel die Grenzen geöffnet habe, sei das Ende Europas. Beinahe kleinlaut halte ich dagegen und sage, dass ich nicht verstehe, warum homosexuelle Paare nicht die gleichen Rechte haben sollten wie alle anderen auch. Wo ich denn eigentlich herkomme, will einer wissen. „Aus Deutschland, aus Berlin“, sage ich. Und auf einmal stürzen sie sich auf mich: Nach der Kölner Silvesternacht haben die Deutschen die Rechnung für ihre liberale Haltung in Sachen Flüchtlingspolitik bekommen. Und überhaupt, wer glauben die in Berlin, wer sie sind, dass sie den Polen sagen, wie sie ihre Angelegenheiten zu regeln hätten. Ich stehe alleine, nach einer halben Stunde verabschiede ich mich frustriert.

Am nächsten Tag erzähle ich einer polnischen Journalistenkollegin von jener Begegnung. Ich bin immer noch baff, schließlich habe ich nicht mit verwilderten Springerstiefelträgern geraucht. Die Codes stimmten, die fünf sahen aus wie typische Warschauer, die sich ihre Zeit am Plac Zbawiciela vertreiben. Und von Landeiern kann auch nicht die Rede sein, der vehementeste Fürsprecher für eine Schließung der Landesgrenzen war ein polnischer Promotionsstudent im Ausland. Meine Kollegin lächelt mich nur müde an. „Philipp“, sagt sie, „hast du denn nicht mitbekommen, dass der Plac Zbawiciela schon lange kein Tummelplatz mehr für die Liberalen und Hipster ist?“ Vielmehr sei es nun eine „Hipster Prawica“, eine Hipster-Rechte, die dort ihr Zelt aufgeschlagen habe.

So ganz kaufe ich die Theorie mit der Hipster-Rechten nicht. Aber eines fällt mir sofort auf: Schon wieder hat jemand „Hipster“ gesagt. In wohl keiner europäischen Stadt wird dieses Wort öfter gebraucht als in Warschau. Pierogi in einer Milchbar, Bier, Wein, Hornbrillen, enge Jeans, Kaffeehauskultur, sich politisch engagieren, apolitisch sein: Alles ist „hipsterskie“, also hip.

Seit fast schon zehn Jahren bin ich regelmäßig in der Stadt. Der Plac Zbawiciela hat sich verändert, aus dem Fenster des Plan B, der Bar, die es schon lange am Platz gibt, lässt sich das gut beobachten. Vor allem ist es voller geworden, der Platz bekommt mehr Aufmerksamkeit, von Touristen und Eingesessenen. Trotz des Geredes über den „Plac Hipstera“, spiegelt der „Zbawix“ die verschiedenen Menschen Warschaus. Und das zeigt nicht nur die Eingangsepisode des Textes. Wer das leugnet, der kommt nur zum Weintrinken dorthin und um selbst gesehen zu werden. Passanten überqueren die Straßenbahngleise, es gibt Gemüsestände, ordinäre Drogerien, einen Steinwurf entfernt Büros. Ich möchte eine Lanze brechen für den Platz, nachdem bereits ein Sterbelied auf ihn gesungen wurde.

Und mit Berlin hat er, wenn, dann nur wenig gemein. Ein bekannter polnischer Parlamentsabgeordneter hat unweit des Platzes sein Büro. Einmal erzählte er mir, er komme gerne für einen Kaffee an den Platz, denn es sei dort so bunt wie in Berlin-Kreuzberg. Man könnte meinen, wenn es einen Abgeordneten an den Platz zieht, dann sei dessen Zeit wirklich schon vorüber. Aber das ist es nicht: Es geht vor allem darum, diese unsäglichen Vergleiche mit einer Stadt wie Berlin gut sein zu lassen. Warschau und der Plac Zbawiciela haben ihre eigene Identität. Sub- oder Gegenkultur, wie sie bis heute Berlin ausmacht, ist am Platz nicht zu finden. Es liegt eine Dekadenz in der Luft, eine konservative Haltung, die sich nicht nur über gebügelte Hemden ausdrückt. Wenn dem so ist, dann kann es auch gesagt werden. Der Platz ist nicht hip, er war es nie, er ist auch nicht homogen, wer sich vorwagt, der sieht eben einfach seine unterschiedlichen Menschen und Geschichten. Zum Glück.

Philipp Fritz

Autor der Berliner Zeitung

Philipp Fritz

 

Philipp Fritz – geboren 1987. Er schreibt vor allem über Osteuropa Politik und Gesellschaft. Texte von ihm erscheinen überdies in der Jüdischen Allgemeinen und er ist Gastautor der Gazeta Wyborcza, in deren Redaktion in Warschau er 2016 für zwei Monate gearbeitet hat. Er studierte Politikwissenschaft, Kulturwissenschaft und Osteuropastudien in Bremen, Krakau und Berlin. Philipp Fritz lebt in Berlin. Seit beinahe zehn Jahren ist er regelmäßig zwischen Polen und Deutschland unterwegs. 2010 hat er begonnen, Polnisch zu lernen.