Seit den 1990er Jahren ist polnische Kunst in den Galerien und Museen Nordrhein-Westfalens im Grunde ständig präsent. Viele zeitgenössische Künstler aus Polen wie Paweł Althamer, Mirosław Bałka, Artur Żmijewski, Katarzyna Kozyra, Wilhelm Sasnal oder Monika Sosnowska haben sich bereits etabliert, doch nun setzen sich noch weitere durch, unter anderem Konrad Smoleński, Paulina Ołowska oder Honza Zamoyski. Das, was in der polnischen Kunst aktuell stattfindet, ist inzwischen auch in Deutschland in hohem Maße bekannt und wird aufmerksam beobachtet. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass dies nicht immer von einem Wissen darüber begleitet wird, was vor 1989 gewesen ist. Die den Polen vertrauten Arbeiten von Andrzej Wróblewski, Katarzyna Kobro, Natalia LL oder Józef Robakowski sind dem westeuropäischen Kunstfreund weitgehend unbekannt, und er stößt auf Schwierigkeiten, wenn er sie in einen breiteren Kontext der Kunst des 20. Jahrhunderts setzen will. Deshalb ist die parallele Präsentation sowohl dessen, was in der polnischen Kunst aktuell ist, als auch was in die Geschichte eingegangen ist, enorm wichtig. Es wird dem westeuropäischen Besucher eine Chance geben, die interessantesten künstlerischen Strömungen und Persönlichkeiten der polnischen Nachkriegskunst (1945–1989) kennenzulernen.

Das Polnische Institut in Düsseldorf bemüht sich, diese Aufgaben in Kooperation mit deutschen Partnern zu realisieren. Besonders gelungen war in dieser Hinsicht das Ende des vergangenen Jahres in Nordrhein-Westfalen. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen/K20 feierte gemeinsam mit dem Institut den 100. Geburtstag von Tadeusz Kantor. In der Institutsgalerie wurde eine Dokumentar- und Kunstausstellung über Kantor vorgestellt, das K20 dagegen zeigte parallel dazu einen Monat lang drei Filme über den Künstler sowie Filmaufnahmen von fünf seiner berühmtesten Theaterinszenierungen.

Dieses Jahr hat ebenfalls äußerst interessant angefangen. Beim „Düsseldorf Photo Weekend 2016“ waren großformatige Arbeiten des in Polen bereits bekannten Fotografen der jungen Generation, Paweł Bownik, zu sehen. Dies war ein besonderes Ereignis für Fans der künstlerischen, konzeptuellen Studiofotografie. Zurzeit hat die Galerie des Polnischen Instituts das Museum für Japanische Kunst und Technik Manggha in Krakau bei sich zu Gast und präsentiert, zum ersten Mal in Deutschland, einen zwar kleinen, aber interessanten Teil der Museumssammlung: Zeichnungen von Andrzej Wajda, die während seiner Japanreisen entstanden sind, sowie Fotografien von Zev Aleksandrowicz und Hiroh Kikai. Doch das ist noch nicht das Ende des Abenteuers mit Japan, für dessen Kunst sich polnische Künstler seit langem interessieren und von der sie sich inspirieren lassen. Im Mai wird im Rahmen des Japan-Tages in Düsseldorf in der Galerie des Polnischen Instituts eine Exposition von Jakub Woynarowski eröffnet. Der Künstler hat 2010 ein Comicprojekt realisiert, das dem berühmtesten polnischen Sammler japanischer Kunst, Feliks „Manggha“ Jasieński, gewidmet ist. Das Projekt besteht aus 40 großformatigen Illustrationen und wird durch Auszüge aus einigen mit spitzer Feder geschriebenen Texten des Protagonisten ergänzt; zu finden sind hier viele Inspirationen sowohl durch die alte als auch die zeitgenössische japanische Kunst.

Das wichtigste Ereignis des Jahres ist jedoch die Eröffnung des Museums Jerke – des ersten privaten Museums polnischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts weltweit. Ab dem 24. April werden alle Kunstliebhaber, die nach Recklinghausen kommen, die Arbeiten so hervorragender Künstler wie Katarzyna Kobro, Alina Szapocznikow, Władysław Strzemiński, Henryk Stażewski, Edward Krasiński, Jarosław Modzelewski, Wilhelm Sasnal und vieler anderer kennenlernen können. Das Wahrzeichen des Museums ist nicht nur die schöne, moderne Form des entworfenen Gebäudes, sondern auch das farbige, speziell dafür gestaltete Glasfenster von Wojciech Fangor, einem der „großen Meister“ des 20. Jahrhunderts.

Das Institut war seit Jahren Schirmherr und im Rahmen seiner Möglichkeiten Unterstützer des Sammlers und Liebhabers polnischer Kunst, Werner Jerke, um ihm bei der Verwirklichung seines Traumes zu helfen. 2014 organisierte das Institut die Ausstellung „Ideal austariert, organisch abstrakt – polnische Avantgarde“; es war die erste öffentliche Vorstellung eines Teils dieser ungewöhnlichen Sammlung. Erfreulich war für uns, dass die Pläne für die Eröffnung eines neuen Museums den Kunstinstitutionen im Ruhrgebiet nicht entgangen sind. Drei Museen – das Kunstmuseum Bochum, die Kunsthalle Recklinghausen und das Skulpturenmuseum Glaskasten Marl beschlossen, das Ausstellungsprojekt „Polnische Kunst in Ruhrgebiet“ gemeinsam durchzuführen. Auf diese Weise wollten sie das Publikum darauf aufmerksam machen, dass in der Region ein neuer, interessanter Kunstort entstanden ist.

Die Ausstellung „Frömmigkeit und Nachtgesichte. Naive Kunst aus Polen im Spiegel der Moderne“ in der Kunsthalle Recklinghausen präsentierte die früher im Ruhrgebiet so beliebte polnische naive Kunst im Kontext von Arbeiten junger Künstler aus der Sammlung Jerke.

Der Ausstellungskurator von „Generationsübegreifend – Polnische Kunst in Marl“ im Skulpturenmuseum Glaskasten wagte es, Arbeiten anerkannter Künstler der älteren Generation, Ryszard Waśko und Józef Robakowski, mit Arbeiten polnischer Künstler der jüngeren Generation zu konfrontieren – Paweł Książek, Marlena Kudlicka, Agnieszka Polska und Natalia Stachon. Infolge eines durchdachten räumlichen Arrangements gehen die nebeneinander platzierten Arbeiten einen für den Zuschauer interessanten Dialog über Symbole, Zeichen und deren Bedeutungen ein.

Bei der dritten Ausstellung im Kunstmuseum Bochum handelt es sich höchstwahrscheinlich um das wichtigste Ereignis für die polnische Kunst in Deutschland im ersten Halbjahr 2016 – neben der Eröffnung des Museums Jerke in Recklinghausen. Es geht um die Ausstellung „Wilder Westen. Die Geschichte der Avantgarde in Wrocław“, deren Premiere in der Nationalen Kunstgalerie Zachęta in Warschau im Juni 2015 stattgefunden hatte. Jetzt, wo Breslau Europäische Kulturhauptstadt ist, kommt sie nach Bochum und bietet eine einmalige Gelegenheit, in der Zeit zurückzugehen und das zu entdecken, was nicht nur in der Breslauer, sondern auch in der polnischen Kunst hinter dem Eisernen Vorhang geschah. Und es passierte wirklich viel. Denn gerade in Wrocław, im sogenannten „wilden Westen“, gelegen an den Randgebieten des kommunistischen Landes, am Berührungspunkt verschiedener Kulturen und Migrationen, schüfen Künstler im Geiste von Freiheit und Unabhängigkeit ihren originellen Mikrokosmos, dessen Wesen in gewagten Experimenten und internationaler Zusammenarbeit mit Partnern von beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ bestände, schreiben die Warschauer Kuratoren. Die vom Museum für Zeitgenössische Kunst in Wrocław erarbeitete Ausstellung zeigt beinahe 500 Objekte aus den Bereichen visuelle Kunst, Architektur, Stadtplanung, Theater, Film, Design und Lebensalltag in Wrocław von Mitte der 1960er Jahre bis 1981.

Und das ist eben eine Ausstellung, die dem westeuropäischen Besucher erlaubt, sein Wissen über die Nachkriegskunst in Westeuropa mit der hinter dem Eisernen Vorhang entstandenen Kunst zu konfrontieren – der vielleicht gar nicht so eisern war, wie es allen scheint …

Tekst ukazał się w Nr 115 – 1991 – 2016: O jubileuszu polsko niemieckiego traktatu o dobrym sąsiedztwie (www.dialogmagazin.eu)

Aus dem Polnischen von Agnieszka Grzybkowska

Monika Kumięga

Projektkoordinatorin für visuelle Kunst im Polnischen Institut Düsseldorf.

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